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Die Kopernikanische Wende und ihre Bedeutung für die Psychologie

Die Kopernikanische Wende und ihre Bedeutung für die Psychologie

Christian Hostettler, 4. Juni 2020

Kopernikanische Wende Bild farbig
Die alte Welt war begrenzt durch das Himmelszelt, das die Fixsterne trug. Auf diesem um 1530 entstandenen anonymen Holzschnitt durchbricht der Mensch das ummauerte Universum. Es eröffnen sich ihm neue Welten, die Neuzeit bricht an.

Vortrag

gehalten an der 19. Arbeitstagung der Zürcher Schule für Psychotherapie am 8. November 1981. Gemeinschaftsarbeit einer Arbeitsgruppe von Naturwissenschaftlern

Wir leben in einer Zeit, in der die Psychologie noch nicht verbreitet ist. Der psychologische Gedanke hat es schwer, bei den Menschen Fuß zu fassen. Das Wissen ist vorhanden, allein es wird den meisten Menschen vorenthalten. Die Psychologie wird heute noch diffamiert. Wo liegen die tieferen Gründe für diese Situation? Wer hat ein Interesse daran? Welches sind die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und psychologischen Hintergründe? Um was geht es eigentlich?

Um ein besseres Verständnis dieser Situation zu bekommen, suchen wir nach Vergleichen in der Geschichte der Wissenschaften.

  • In den letzten 500 Jahren wurde die christlich-abendländische Weltanschauung mehrfach durch revolutionäre Ideen stark erschüttert.
  • Nikolaus Kopernikus brachte mit seinem neuen astronomischen Weltbild die Naturauffassung des christlichen Mittelalters ins Wanken.
  • 300 Jahre später zog Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie den biblischen Schöpfungsbericht in Zweifel.
  • Zur gleichen Zeit stellte Karl Marx durch seine Kritik der politischen Ökonomie die als naturgegeben betrachtete Auffassung über arm und reich in Frage.
  • Zu Beginn unseres Jahrhunderts rüttelte Sigmund Freud an den Grundlagen des mittelalterlichen Weltbilds, indem er das menschliche Seelenleben der Vernunft zugänglich machte.
  • Den genannten wissenschaftlichen Errungenschaften ist gemeinsam, dass die aus ihnen gezogenen Konsequenzen das herrschende Welt- und Menschenbild in Frage stellten.
  • Aus Gründen, die ausserhalb der Wissenschaft lagen, wurden die neuen Erkenntnisse hart bekämpft, so dass es oft hunderte von Jahren dauerte, bis sie sich durchsetzten.
  • Die Kopernikanische Wende ist, was die astronomischen und physikalischen Konsequenzen betrifft, vollzogen.
  • Über die Darwinsche Lehre ist noch heute der Grossteil der Menschen nicht informiert, sie wird oft noch als Spekulation abgetan. Die Erkenntnisse von Marx wurden zwar in die Wirtschaftstheorien eingebaut, seine Schlussfolgerungen werden aber bis heute verteufelt.
  • Freuds Werk ist den Menschen nicht bekannt gemacht worden, oder dann in einer Form, die ihn lächerlich machte.

Wir wollen aufzeigen, was vor sich geht, wenn das Menschen- und Weltbild in Frage gestellt wird.

Um die heutige Situation der Psychologie richtig erfassen zu können, müssen wir geschichtlich denken lernen. Wir wollen daher am Beispiel der Kopernikanischen Revolution sehen, warum die Widerstände bei einem solchen Umschwung so gross sind. Das Werk des Kopernikus "Über die Umdrehungen der Himmelssphären" erschien 1543 im Druck. 100 Jahre später, also um 1650, hatten praktisch alle Astronomen das neue Weltbild akzeptiert. Warum wurde das Volk darüber erst im 18. Jahrhundert aufgeklärt, mit rund 200 Jahren Verspätung? Was waren die Gründe?

Das mittelalterliche Weltbild

Um die Kopernikanische Wende zu verstehen, müssen wir das Weltbild des Mittelalters genauer betrachten. Vorstellungen im Mittelalter waren hauptsächlich durch Aristoteles und Platon bestimmt. Die Kirchenväter Augustinus und Thomas von Aquin haben in ihrer christlichen Philosophie die Ideen der beiden griechischen Philosophen aufgenommen und mit dem christlichen Glauben verschmolzen. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis dieser Kompromiss zustande kam, der bis zu Beginn der Neuzeit die Grundlagen der christlich-abend1ändischen Weltanschauung bildete. Die astronomischen Berechnungen wurden in Übereinstimmung mit diesen Vorstellungen mit einem komplizierten Modell durchgeführt, das auf Ptolemaios zurückgeht.

Kopernikus Weltbild Ptolemaios

Das alte Weltbild geht auf Ptolemäus (etwa 90-160 n.Chr.) zurück. Die Erde ruht im Mittelpunkt des Universums. Der Mond, die Planeten und die Sonne umkreisen die Erde. Das Universum ist endlich. Es wird abgeschlossen durch die äusserste Kugel, die die Fixsterne trägt.

Ptolemaios, der im zweiten nachchristlichen Jahrhundert in Alexandria im heutigen Ägypten lebte, hatte das astronomische Wissen seiner Vorgänger systematisch zusammengefasst. Die Erde steht im Mittelpunkt der Welt. Die Bewegung der damals bekannten 5 Planeten, der Sonne und des Mondes wurde mit Hilfe einer aus 40 ineinanderlaufenden Rädern bestehenden Maschinerie beschrieben.

Das Ptolemäische Weltbild wurde als ausserordentlich kompliziert empfunden. So soll der im 13. Jahrhundert lebende König Alfons X. von Kastilien, als er sich die Bewegung der Planeten erklären liess, ausgerufen haben: "Wenn unser Herrgott mich bei der Erschaffung der Welt zu Rate gezogen hätte, würde ich eine grössere Einfachheit empfohlen haben."

Charakteristisch für das mittelalterliche Weltbild ist die strikte Trennung von Himmel und Erde.

Die Erde als verrufenste Ecke im Universum ist zuunterst, im Zentrum. Ein Tohuwabohu. Es herrschen keine Gesetze. Die vier klassischen Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer sind in andauernder Wandlung der Mischungsverhältnisse begriffen. Nichts ist von Dauer.

Im Gegensatz dazu ist der Himmel ewig und vollkommen. Die Gestirne wandeln nach ewigen Gesetzen auf Kreisbahnen um die Erde. Sie bestehen auch aus einem anderen Stoff: dem unwandelbaren 5. Element, das die Alten Äther nannten. Die Kreisbewegung galt seit Platon als die vollkommenste Bahn, gerade gut genug für Himmelskörper.

Das mittelalterliche Universum war überschaubar, von endlicher Grösse, verglichen mit den heutigen Vorstellungen sogar sehr klein. Das Kugelförmige Himmelszelt, an das die Fixsterne wie Lampen angeheftet waren, schloss das Universum ab.

Die kirchlichen Vorstellungen passten gut in dieses Bild. Die Hölle befand sich zuunterst: im Innern der Erde. Engel schoben die Planeten auf ihren Bahnen. Jenseits des Himmelszeltes war der Bereich der Seligen, auch mit Abstufungen und hierarchisch geordnet entsprechend der Nähe zu Gottes Thron im obersten Himmel.

Der Mensch befand sich zwischen Erde und Himmel auch geographisch, zwischen Teufel und Gott, ein Wesen halb Tier halb Engel. Er strebte dem Himmel zu und konnte doch die lasterhafte Erde nicht ganz verlassen. Er hatte eine göttliche, unsterbliche Seele und einen vergänglichen irdischen Leib. Die Zweiteilung des Menschen hatte ihre Entsprechung im Aufbau der Welt.

Die Neuzeit bricht an

Einem Domherrn aus Frauenburg in Ostpreussen, dem Kanonikus Nikolaus Kopernikus blieb es vorbehalten, diese göttliche Ordnung zu stören. Es war nicht seine Absicht. Freunde mussten ihn drängen, doch endlich sein Werk zu veröffentlichen. Kopernikus hatte Angst, sich lächerlich zu machen, weil nach den damaligen Vorstellungen der Physik eine Erdbewegung einfach undenkbar war. Sein Werk "Über die Umdrehungen der Himmelssphären" erschien daher erst im Jahr seines Todes, 1543.

Im kopernikanischen System befindet sich die Sonne im Zentrum. Die Erde und die anderen Planeten umkreisen die ruhende Sonne. Dadurch liessen sich die Bewegungen der Planeten erheblich einfacher erklären als im alten ptolemäischen Weltbild.

Anfänglich fand Kopernikus' Werk wenig Beachtung. Dafür hat nicht zuletzt der Herausgeber des Werkes gesorgt, der lutheranische Geistliche Andreas Osiander. Ganz im Gegensatz zu Kopernikus Absicht und ohne dessen Wissen, fügte Osiander der ersten Ausgabe ein anonymes Vorwort bei. Darin steht:

"Es ist nicht erforderlich, dass diese Hypothesen wahr, ja nicht einmal, dass sie wahrscheinlich sind, sondern es genügt schon, wenn sie eine mit den Beobachtungen übereinstimmende Rechnung ergeben."

Mit anderen Worten: Es können keine Schlussfolgerungen aus Kopernikus' Erkenntnis gezogen werden, da es sich nur um unbewiesene Hypothesen handelt. Ein Schlag ins Gesicht des Kopernikus, der 23 Jahre aufwandte, um die Haltlosigkeit des alten Weltbildes darzulegen und durch etwas Richtigeres zu ersetzen.

Kopernicus revolutionum eruditissimi viridoctoris 2Nikolaus Kopernikus (1473-1543) war Domherr in Frauenburg (Frombork) und gilt als der Begründer des heliozentrischen Weltbildes. In seinem Todesjahr erschien sein Werk "Über die Umdrehungen der Himmelssphären" im Druck.

Im Laufe der Zeit übernahmen immer mehr Astronomen das neue System. Kopernikus' astronomische Tafeln fanden Verbreitung. Die Bewegung der Erde blieb umstritten. Einige Astronomen akzeptierten sie, andere lehnten sie ab.

Einer dieser Kopernikaner war der an der Universität Pisa lehrende Mathematiker Galileo Galilei. Die Erfindung des Fernrohres hatte Galilei berühmt gemacht. Seine Beobachtungen am Himmel veröffentlichte er im 1610 erschienenen "Sternenboten". Dieses leicht lesbare, nur 24 Seiten starke Büchlein, schlug ein wie eine Bombe und erregte leidenschaftlichen Widerspruch.

Galilei berichtet darin von Himmelskörpern, die kein Mensch bisher sah, von Myriaden neuer Sterne, die bis dahin bekannten Sterne das Zehnfache an Zahl übertreffend. Der Mond ist ein fester, gebirgiger Körper, ganz ähnlich wie die Erde, und völlig anders als die "Kristallkugel" in der herkömmlichen Philosophie. Die Entdeckung der Jupitermonde bewies, dass das alte Weltbild falsch sein musste. (Prätäritum)

Obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, waren die Konsequenzen nicht zu übersehen: Das mittelalterliche Weltbild geriet in Gefahr. Die herrschende Ordnung war in Frage gestellt. Galileis Entdeckungen warfen weitergehende Fragen auf. Die Menschen begannen, sich Gedanken zu machen:

Falls die Erde ein Planet ist, sind die andern Planeten auch bewohnt? Und wenn ja: Stammen ihre Bewohner auch von Adam ab? Braucht die Erde, wie die anderen Planeten, auch einen Engel, der sie bewegt? Doch wo ist der? Warum ist Christus gerade auf den 3. Planeten heruntergestiegen? Wo blieb überhaupt der Himmel, wenn Oben und Unten durch die tägliche Drehung der Erde zweimal am Tage ihren Platz vertauschen?

Die Theologen fürchteten um die Glaubwürdigkeit der Bibel.

Die kopernikanische Lehre durfte nicht als wahr angenommen werden, sondern nur als unbewiesene Hypothese. Galilei wurde als Ketzer angegriffen und zum Widerruf gezwungen. Sämtliche Bücher, die die kopernikanische Lehre vertraten, kamen auf den Index der verbotenen Bücher. Bis 1835 war es verboten, sie zu lesen.

Kopernikus Revolutionum Lib
Das heliozentrische Weltsystem des Kopernikus. Dieser scheinbar trockene, sachliche Holzschnitt stellte die revolutionäre Lehre von der sich bewegenden Erde mitten hinein in die Renaissance-Kultur. (heliozentrisch: die Sonne (helios) steht im Zentrum).

Kopernikus Sonne im Zentrum
Im kopernikanischen System ist die Sonne im Zentrum. Die Planeten umkreisen die Sonne, die Erde ist ein sich bewegender Planet. Das Universum ist immer noch begrenzt durch die Fixsternsphäre.

Der Fortschritt wird bekämpft

Im Folgenden untersuchen wir die Konsequenzen der kopernikanischen Idee. Diese geschichtliche Darstellung eines Fortschritts und seiner Verhinderung soll vor allem dazu dienen(,) zu erhellen, warum die Psychologie heute(,)in der Neuzeit(,) so große Schwierigkeiten hat, sich durchzusetzen.

Bekanntlich hat sich die Vorstellung, die Erde bewege sich um die Sonne, bis zur Aufklärung, also 200 Jahre lang, nicht durchgesetzt. Und bekanntlich bangten ja die Vertreter dieser Idee auch um Leib und Leben. Warum? Drei Fragen sollen beantwortet werden, um an diesem exemplarischen Fall zu zeigen, mit welchen Schwierigkeiten ein Forscher zu rechnen hat, der etwas wirklich Neues vertritt.

Erste Frage: Was war eigentlich bedroht durch diese simple Idee, dass die Erde sich bewegt?

Die Antwort vorweg: Die ganze mittelalterliche Weltanschauung drohte zusammenzustürzen. Die göttliche Autorität wurde frech in Frage gestellt durch die Autorität des Experiments, durch die Wissenschaft. Dies soll im Folgenden genauer erläutert werden.

Der Widerstand gegen die kopernikanischen Erkenntnisse entspringt nicht der Sache. Das neue Weltbild wurde nicht abgelehnt, weil es physikalisch unvernünftig wäre. Zwar erregte die radikale Neuerung Vorbehalte, vor allem weil die Erde nun bewegt sein sollte, aber diese Gründe waren es nicht, die die Verunglimpfung und Verfolgung bewirkten.

Siebzig Jahre lang geschah nämlich wenig. Abgesehen von vereinzelten Dreckspritzern schlossen sich immer mehr und mehr Wissenschaftler der kopernikanischen Erkenntnis an.

Erst 1611 begann die offene Hetze. Im Jahre 1616 wurde dem eifrigsten Vertreter der kopernikanischen Idee, Galileo Galilei, verboten zu sagen: "Die Erde bewegt sich". Er durfte nur sagen: "Man könnte als Hypothese annehmen, dass sich die Erde bewegen könnte".

Und das Buch von Kopernikus wurde auf das Verzeichnis der verbotenen Bücher, den Index, gesetzt. Nicht nur war die kopernikanische Idee mit dem echten christlichen Glauben unvereinbar, nein, es wurde verboten, die Idee zu lesen.

So gefährlich war der Gedanke, dass die alleinige Lektüre den guten Christenmenschen verderben konnte. Warum plötzlich diese Gefahr? Nicht die Tatsache, dass die Erde sich bewegt, ist das Ärgernis, sondern die Konsequenz aus dieser Erkenntnis. Die Konsequenz ist: Die Bibel ist falsch!

Warum? - Nach der Auffassung des Gläubigen ist die Bibel Gottes Wort; jedes Wort ist Gottes Wort, der Mensch darf daran nichts ändern; und nun sollen plötzlich ganze Abschnitte falsch sein. Damit geriet das ganze Weltbild ins Wanken. Die Menschen begannen nämlich, wie schon erwähnt, offen zu fragen:

Wenn die Erde sich bewegt, dann ist sie ein Planet wie die andern auch. Warum hat dann Gott gerade nur die Erde mit Menschen bevölkert? Sicher hat es auch auf den andern Planeten Menschen. Stammen sie auch von Adam ab? Gab es nur auf der Erde einen Sündenfall oder auch anderswo? Warum ist Christus ausgerechnet auf die Erde gekommen? Wo ist der Thron Gottes und wo das Reich des Teufels, wenn die Erde nicht im Zentrum des Universums steht?

Damit waren wesentliche christliche Glaubenssätze in Frage gestellt.

Wie nun hat die Kirche das schwankende Gebäude gerettet?

Sie hat die Wissenschaft in den Elfenbeinturm verbannt, um Zeit zu gewinnen, einen geordneten Rückzug anzutreten und das morsche Fundament des christlichen Weltgebäudes zu ersetzen.

Wie verbannt man die Wissenschaft in den Elfenbeinturm? Man verbot Galileo Galilei, und damit allen Wissenschaftlern, zu behaupten:

"Die Erde bewegt sich, es ist so." - oder, wie Galileo sagt: "eppur si muove". Das war verboten.

Man durfte nur sagen:

"Meiner Meinung nach ist die Hypothese zulässig, dass die Erde sich bewegen könnte."

Damit war die wissenschaftliche Erkenntnis von der Straße weggefegt und in den nebulösen Bereich "wissenschaftlicher Disputationen" verbannt. Sie wurde eine Privatmeinung, keine Erkenntnis, sondern eine Meinung unter vielen andern Meinungen auch.

Was war das Rückzugsmanöver der Kirche? - Die kirchliche Autorität war also in Gefahr, da die Bibel in Zweifel gezogen war. Wie konnte man die Bibel retten? Indem man sie bildlich auszulegen begann. Dann stellt sich aber sofort die Frage, welche Instanz nun sagt, welche Auslegung die richtige sei. Diese Instanz ist (wurde) der unfehlbare Papst.

Das also ist die Situation: Durch die wissenschaftliche Erkenntnis von Kopernikus ist der Inhalt der Bibel in Frage gestellt. Um die Bibel zu retten, beginnt die Kirche, sie nicht mehr wörtlich zu nehmen, sondern sie symbolisch auszulegen. Der Papst ist die Autorität, die sagt, wie die Bibel auszulegen ist. Die Unfehlbarkeit des Papstes ist das neue Fundament, auf dem das christliche Weltgebäude steht.

Als in der Folge der Aufklärung der wissenschaftliche Gedanke sich endlich durchzusetzen begann, definierte das erste vatikanische Konzil 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes.

Wie die Stimmung zu dieser Zeit war, zeigt ein Volkslied, das um 1850 entstand:

«Wozu muss man immer stören?
Lasst doch alles wie es ist.
Lieber Freund, lass ja nicht merken,
Dass du für Kopernigk bist»

Um zu verstehen, warum sich die neuen Erkenntnisse erst 200 Jahre nach ihrer Entdeckung durchzusetzen begannen, ist es nötig, die Bedeutung des erzwungenen Widerrufs von Galileo Galilei zu verstehen. Galileo durfte also nicht mehr sagen, es ist so, er musste sagen, meiner Meinung nach ist die Hypothese zulässig ... .

Die "Erbsünde" der Wissenschaft

Das ist, wie ein moderner Denker sagt, die Erbsünde der Wissenschaft. Sie bewirkt nämlich, dass auf der einen Seite die Wissenschaft ihrer gesellschaftlichen Bedeutung beraubt wird und auf der anderen Seite die Hintertüre für die Mystik offenbleibt. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden.

Jeder, der sich mit Humanwissenschaften befasst hat, weiß, dass man bei einer wissenschaftlichen Erkenntnis nicht sagt: «Es ist so». Zum Beispiel: Die Intelligenz ist nicht vererbt. Sondern es heisst: «Die Resultate legen die Vermutung nahe, die Intelligenz könnte nicht vererbt sein». Oder: «Im Allgemeinen könnte man sagen ...» oder «Es scheint so, dass…».

Was bezweckt diese Sprechweise, die oberflächlich gesehen doch nur Fachjargon ist? - Diese Sprechweise lässt die Hintertüre für die Mystik offen. Wenn es so ist, dass die Intelligenz nicht vererbt ist, dann ist es so. Kein Wenn und kein Aber, und keine Spekulation, es könnte auch anders sein. Lässt man aber die andere Möglichkeit zu, spricht man so, als ob es keine sicheren Erkenntnisse gäbe, so setzt sich immer die alte Meinung durch. Es gibt keinen echten Fortschritt.

Sagt man nun: «Intelligenz ist nicht vererbt», so versteht das der sogenannte «Mann von der Straße». Und das Volk, von dem der Kardinal Bellarmin, ein Zeitgenosse Galileis sagt, es sei das dumme, froschmäulige Volk, das nicht differenziert denken kann, dieses Volk zieht die Konsequenzen:

«Also: Die Intelligenz ist nicht vererbt. Ja, dann kann ja jeder lernen, dann kommt es ja auf die Schule an, ob man dumm oder gescheit wird. Dann muss ich ja nicht bis ans Lebensende am Fließband stehen."

Durch den Widerruf von Galileo Galilei hat es sich ergeben, dass die Wissen-schaft entpolitisiert wurde. Die Erkenntnisse wurden zu Hypothesen gemacht, und die revolutionäre Erneuerung verflachte zu einem Gelehrtenstreit. Der Skandal wurde zum Disput.

Der Index der verbotenen Bücher als Schutzmaßnahme der Kirche vor der Vernunft

Zum Schluss soll noch eine Frage angeschnitten werden. Hatte die neue Erkenntnis eigentlich eine gesellschaftsverändernde Kraft? Die Wissenschaftler sind doch auch Kinder ihrer Zeit, sie waren ängstlich und ihnen fehlte der Horizont.

Die Bedeutung einer neuen Erkenntnis ist, dass sie das Denken anregt. Ein vernünftiger Gedanke hat eine große Tragweite, sofern er nicht verwässert wird. Wie gefährlich die Vernunft ist, zeigt die Praxis der katholischen Kirche. Sie hatte ein Verzeichnis geschaffen, auf dem alle Bücher standen, die die bestehende Ordnung in Zweifel zogen. Der Index ist der Beweis für die Kraft der Vernunft. Heute ist er abgeschafft, weil die Menschen sich nicht mehr daran hielten.

Galileo Galilei
Galileo Galilei (1564-1642) war Professor in Pisa und Padua. Er gilt als der Begründer der modernen Physik, indem er das Experiment als «höchsten Richter über wissenschaftliche Wahrheit» einführte. Als er von der Erfindung des Fernrohrs hörte, baute er sich selber eines und beobachtete den Himmel.

Der Wissenschaftler hat seine Erkenntnisse hinter Hypothesen versteckt. Das ist ein psychologisches Problem. Der Fortschritt bahnte sich den Durchbruch nicht an der Universität, sondern dort wo der Mensch trotz aller Verbote nicht aufgehört hat zu forschen und Konsequenzen zu ziehen. Bei den Hebammen zum Beispiel, die trotz des drohenden Scheiterhaufens den gebärenden Frauen die Erkenntnisse der Heilkunde zugutekommen ließen.

Die Frage bleibt auch heute: Haben sich die Verhältnisse geändert? Woher kommt der Fortschritt?

Was für eine Konsequenz ist aus dem Gesagten zu ziehen? Fassen wir zusammen.

  • Rüttelt eine wissenschaftliche Erkenntnis an der bestehenden Weltordnung, so zeigt das Beispiel der kopernikanischen Wende, dass mit größtem Widerstand vonseiten der Vertreter des Bestehenden zu rechnen ist.
  • Entreißt der Forscher mit seiner Erkenntnis der religiösen Macht den Anspruch auf ein Wissensgebiet, so kommt er nicht ungeschoren davon. Das aufrührerische Wort des Wissenschaftlers «Es ist so», sein Experiment also, ist das große Ärgernis für die Autorität, die ihre Macht auf Tradition und Unwissen baut.
  • Der Widerstand hat nichts mit der wissenschaftlichen Erkenntnis an sich zu tun, sondern mit den gesellschaftlichen Konsequenzen, die sich aus der neuen Idee ergeben.
  • Seit Galilei werden die gesellschaftlichen Konsequenzen aus den Erkenntnissen nicht gezogen. Indem der Wissenschaftler keine klaren Aussagen macht, sondern sich hinter Hypothesen versteckt, werden neue Erkenntnisse lediglich kraftlose Anstöße zu einem Streit in den Gelehr-tenstuben. Die Aussprüche moderner Wissenschaftler, wie «Im allgemeinen kann man sagen ...» oder «Die Hypothese scheint zulässig . .» stehen in einer Reihe mit dem erzwungenen Widerruf Galileis. Sie lassen die Hintertüre für die Mystik und das Weiterbestehen der alten Irrtümer offen.

Nun ist aber die Vernunft die evolutionäre Kraft, die den Menschen erst eigentlich zum Menschen macht. Im besten Sinne des Wortes ist die Vernunft das Dynamit, das den Menschen den Weg in die Neuzeit freisprengt. Heraus aus der Spekulation!

Zweite Frage: Eine Erde, die sich um die Sonne bewegt, erklärt den Sternenhimmel viel einfacher. Wieso nahm der Mensch von damals diesen Gedanken so schwer auf? Wieso fiel es ihm so schwer, sich mit dem neuen Weltbild geistig zu konfrontieren?

Wir möchten auf diese Fragen eingehen‚ indem wir die geistige und seelische Verfassung des Menschen von damals kurz skizzieren.

Der Mensch war vor allem gläubig. Die geistigen Kategorien waren die des Glaubens, es gab überhaupt nur den Glauben. Danach wird der Mensch in seinen Stand geboren. Er lebt in einem Gedankengebäude, wo Autorität, Hierarchie und Gehorsam die Richtlinien seines Handelns sind.

Das Menschenbild ist statisch. Von Gott auf die Erde gestellt, in der dauernden Ausrichtung aufs Jenseits mit der Vorstellung von Himmel, Hölle und Fegefeuer durchtränkt, befand sich der Mensch im Zustand geistiger Umnachtung.

Der Mensch und das Menschliche galten als vergänglich, nichtig, niedrig, verwerflich und sündig. Jede Beschäftigung mit diesseitigen Problemen war Sünde und die Sorge um das Wohlergehen auf Erden war verpönt.

Man sah in der Zuwendung an diesseitige Probleme eine Verführung durch das Böse, und da die wissenschaftliche Betätigung immer das Hauptanliegen hat, Erkenntnisse zu gewinnen, die der konkreten Verbesserung der Lebensbedin-gungen dienen, wurde sie als Machenschaft des Teufels betrachtet. Der Teufel war immer und überall am Werk und trieb sein böses Spiel.

Und es gab nicht nur einen Teufel, sondern der mittelalterliche Teufelsglaube beinhaltete die Vorstellung von einer ganzen Menge von Teufeln, so dass man in einem Buch von damals liest:

«Das ganze Universum (ist?) auswendig und inwendig, im Wasser und in der Luft, überall voller Teufel, böser und unsichtbarer Geister!»

Jede vom Glauben abweichende Meinung war teuflisch, und sich damit zu befassen war gefährlich. Der Glaube an eine göttliche Autorität war so stark, dass jedes gefühlsmäßige und intellektuelle in Frage stellen* des Glaubens mit großer Angst verbunden war. Der Mensch war ganz ausgerichtet auf Gott, auf die Autorität. Das Prinzip von Oben und Unten durchzog das ganze Denken und Fühlen und alle zwischenmenschlichen Beziehungen.

Im gesellschaftlichen Rahmen, zwischen Erwachsenen und Kindern und auch zwischen den Geschlechtern herrschte das autoritäre Prinzip. Jedes eigenständige Denken, jegliche persönliche Beurteilung war verboten. Man befürchtete ein Chaos.

Dieses Menschenbild und diese Weitsicht beinhaltete eine tiefe Geringschätzung des Menschen. Der Mensch selbst ist böse und mit dem Teufel im Bunde. Daher sind die zwischenmenschlichen Beziehungen von Gewalt geprägt, man kennt nichts anderes als die Gewalt.

Der krasseste Ausdruck des damaligen Welt- und Menschenbildes findet sich in den Religionskriegen, die überall in Europa loderten. Massaker an Andersgläubigen, die Verfolgung und Hinrichtung Andersdenkender durch die Inquisition und das Schicksal fast einer Million Frauen, die als Hexen verbrannt wurden, legen Zeugnis ab vom grausamen Gewaltdenken des Mittelalters.

Diese Barbarei ist durchaus zu vergleichen mit der Barbarei in unserem Jahrhundert. Jeder, der es wagte, eine von der herrschenden Überzeugung abweichende Meinung zu äußern, setzte sich der Todesgefahr aus. Und das in einem Jahrhundert, in dem wichtige Entdeckungen gemacht wurden, die dem modernen Weltbild zugrunde liegen.

Also: Die Angst bestimmt das Denken und Fühlen des mittelalterlichen Menschen in hohem Masse. Dies ist auch die Antwort, warum sich der Mensch nur mit großen Schwierigkeiten dem neuen Weltbild zuwenden konnte.

Aus der Psychologie wissen wir, dass der Mensch die Ängste nicht durch rationale Einsicht verlieren kann. In dieser Verfassung befindet sich nicht nur der einfache Mensch, sondern auch der sogenannte Gebildete war Opfer dieses Zeitgeistes.

Warum die Erkenntnisse in der Psychologie so schwer bei den Menschen Fuß fassen, das war eingangs unsere Frage, und diese Frage ist eng mit der Geschichte des naturwissenschaftlichen Denkens verknüpft.

Das mittelalterliche Weltbild der Spekulation war durch Beobachtung und naturwissenschaftliches Denken ins Wanken geraten.

Wir haben auch herausgestellt, was das eigentliche Ärgernis war: Dass jemand eine Erkenntnis hat, die er nicht zu den Hypothesen, sprich Spekulationen gestellt sehen will. Und vor allem, dass jeder in der Lage ist, den Beweis nachzuvollziehen, aufgrund eigener Beobachtung und persönlicher Urteilskraft.

Dritte Frage: Mit welchen Mitteln aber wurden die Ansätze der Vernunft und des wissenschaftlichen Denkens vom Tisch gefegt?

Wie wurden die Menschen daran gehindert, vernünftig zu denken, das naturwissenschaftliche Prinzip auf alles anzuwenden, was der Mensch wahrnimmt?

Die Angst vor den Autoritäten, vor dem Teufel war das beherrschende Lebensgefühl der Menschen. Ohne diese Angst, die den Menschen vom ersten Lebenstag an eingeflößt wurde, wäre die Unterdrückung des vernünftigen Denkens überhaupt nicht möglich gewesen.

Aber das Vernunftprinzip leuchtet doch jedem ein. Wie soll man die Vernunft dann unterdrücken können?

An einigen Beispielen zeigen wir, wie die Menschen aufgehetzt wurden, wie die Angst geschürt wurde.

1539, also vier Jahre bevor das Buch von Kopernikus auf Drängen seiner Freunde gedruckt wurde, sagt Luther, der Begründer des Protestantismus, in einer Tischrede:

«Die Leute schenken ihr Ohr einem Astrologen, der zeigen möchte, dass die Erde sich dreht ... . Dieser Dummkopf möchte die ganze Astronomie umstürzen, doch die Heilige Schrift sagt, dass Josua die Sonne stillstehen hiess.»

Kopernikus wurde sonst kaum öffentlich angegriffen. Er mied die Öffentlichkeit, er hatte Angst vor dem Spott und der Gehässigkeit seiner Astronomenkollegen. Erst von Rhetikus ließ er sich, kurz vor seinem Tod, dazu bewegen, das Manuskript seines Buches, das er jahrzehntelang versteckt hielt, in Druck zu geben.

Nach Kopernikus' Tod begann die Diffamierung seines Werkes. Calvin schreibt:

«Die Erde ist so gegründet, dass sie sich nicht bewegen kann; wer wird es wagen, die Autorität von Kopernikus über die des Heiligen Geistes zu stellen!»

Rhetikus, der den Druck von Kopernikus' Werk vorantrieb, war Professor für Mathematik in Wittenberg, dort, wo Luther seine Thesen anschlug. Man warf Rhetikus mangelhafte Teufelsgläubigkeit vor. Später wurde er als Ketzer von Ort zu Ort gejagt, man erklärte ihn für verrückt.

Im Jahre 1616 schließlich wurde Kopernikus’ Werk von der katholischen Kirche auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt, das heißt: Kein Mensch durfte das Buch lesen, sonst hätte er wegen Ketzerei bei der Inquisition angezeigt werden können.

Zu dieser Zeit war Galileo Galilei Hauptzielscheibe der Angriffe gegen die Vernunft. Er war der bekannteste Verfechter des neuen Prinzips. In seinen Büchern führte er die Leistungsfähigkeit der wissenschaftlichen Methode vor und setzte sich, vor allem auch in seinen Briefen, gegen die Angriffe zur Wehr. Galilei schreibt im Jahre 1610:

«Einige unnachgiebige Vertreter der alten Meinungen verharren im Widerspruch zu meinem Werk. Soviel ich sehen kann, bestand ihre Bildung darin, dass sie von Kindheit an in der Meinung erhalten wurden, Forschen könne nichts anderes sein, als einen umfassenden Überblick über die Schriften des Aristoteles zu gewinnen, als wären seine Augen dazu bestimmt gewesen, alles für die Nachwelt zu sehen.»

Galilei Fernrohre
Die beiden Fernrohre (heute im Museo di Fisica e Storia Naturale, Florenz) eröffneten Galilei neue Horizonte.

Aus dem Jahre 1614 stammt der Brief an die Großherzogin Christina, in dem Galilei Stellung nimmt zu den Angriffen der Theologen:

«Indem die akademischen Philosophen mehr Liebe zu ihren Meinungen als zur Wahrheit zeigten, versuchten sie, das Neue abzustreiten und zu widerlegen, das ihnen ihre Sinne gezeigt haben würden, hätten sie bloß hinschauen wollen. … Nehmen wir also an, die Theologie besitze den Königsthron der Wissenschaften und lässt sich nicht herab zu den untergeordneten Wissenschaften, beachtet sie auch nicht, weil sie sich nicht mit der Glückseligkeit beschäftigen, dann sollen sich ihre Professoren auch nicht die Befugnisse anmaßen, in Kontroversen innerhalb von Berufen zu entscheiden, die sie weder studiert noch ausgeübt haben. Was wäre das anderes, als wollte ein Despot, der kein Arzt ist und nur weiß, dass er frei befehlen kann, es übernehmen, Medikamente zu verabreichen, wie es ihm gerade in den Sinn kommt, zur schwersten Gefährdung des Lebens seiner armen Patienten.»

Aber im Jahre 1633 wird Galilei vom Heiligen Officium gezwungen, seiner Verfechtung des kopernikanischen Systems abzuschwören. Galilei muss die Worte sprechen:

«… . Daher bin ich der Ketzerei in hohem Masse verdächtig befunden worden, darin bestehend, dass ich die Meinung vertreten und geglaubt habe, dass die Sonne Mittelpunkt der Welt und unbeweglich ist, und dass die Erde nicht Mittelpunkt ist und sich bewegt. …
Ich schwöre, dass ich in Zukunft weder in Wort noch in Schrift etwas verkünden werde, das mich in einen solchen Verdacht bringen könnte. Wenn ich aber einen Ketzer kenne, oder jemanden der Ketzerei verdächtig weiß, so werde ich ihn diesem Heiligen Offizium anzeigen oder ihn dem Inquisitor oder der kirchlichen Behörde meines Aufenthaltsortes angeben. … .»

Wie konnte man aber Galilei zu diesem Widerruf zwingen, obwohl Galilei großes Ansehen genoss, obwohl seine Erkenntnisse auch unter Vertretern der katholischen Kirche zunächst Interesse weckten?

Anfang des Jahres 1615 wird Galilei aufgrund des vorhin zitierten Briefes an die Großherzogin Christina bei der Inquisition denunziert, Pater Lorini und seine Mitbrüder aus dem Dominikanerorden schreiben:

«Stets eingedenk unseres Gelübdes, die schwarzen und die weißen Hunde der Heiligen Inquisition zu sein, entschloss ich mich, als mir klar wurde, dass die Galileisten die Heilige Schrift nach eigenem Gutdünken auslegen, in geringschätzigen Ausdrücken von St. Thomas von Aquin reden, tausend freche und unehrerbietige Ideen verbreiten, als mir also klar wurde, sage ich, wie sich das alles verhielt, entschloss ich mich, Euer Gnaden mit der Sachlage bekannt zu machen, damit ihr in eurem heiligen Eifer für die zur Abhilfe angezeigten Mittel sorgt. Ich erkläre, dass mich in der Angelegenheit nichts anderes antreibt, als der Eifer für die geheiligte Sache.»

Die Abschrift des Briefes von Galilei, die Lorini dieser Anklage beifügte, war an entscheidenden Stellen gefälscht. Unter anderem wurde Galilei die Aussage unterschoben, gewisse Bibelstellen seien buchstäblich falsch.

Einen Monat später wandte sich der Mönch Caccini an die Inquisition. Caccini beschimpfte die Mathematik als Teufelskunst, die Mathematiker griff er als Urheber aller Ketzereien an.

Galilei versuchte, die Theologen und die Inquisitoren von seinen Argumenten zu überzeugen, es gelang ihm nicht.

Am 26. Februar 1616 wurde Galilei von Kardinal Bellarmin, dem Chef der Inquisition, über die Irrtümer seiner kopernikanischen Ansichten belehrt. Galilei erklärte, dass er sich der Weisung unterwerfe.

Eine Woche später wurde das Dekret gegen den Kopernikanismus veröffentlicht: Von da an war es den Gläubigen bis 1835 verboten, das Werk des Kopernikus zu lesen.

Die Diffamierung Galileis nach diesem Urteil ging weiter. Aber Galilei nutzte die Möglichkeit, dass es nicht verboten war, das Werk des Kopernikus weiterhin als unbewiesene Hypothese zu lehren und zu verbreiten. Er brachte so überzeugend Argumente für die Hypothese vor, während er gleichzeitig die Gegenargumente als unhaltbar ad absurdum führte und lächerlich machte, dass ihm schließlich 1633 der Prozess gemacht wurde, in dem Galilei zum Widerruf gezwungen wurde.

Galilei Mond durch Telespop
Die Himmelskörper sind nicht vollkommene Kristallkugeln, sondern zeigen, wie hier der Mond, eine kraterübersäte Oberfläche. Die Himmelskörper unterscheiden sich nicht grundsätzlich von der Erde.

Er und niemand anders durfte fortan lehren, dass die Erde sich um die Sonne bewegt.

Das entscheidende Beweisstück in diesem von Widersprüchen strotzenden Prozess ist eine Protokollnotiz des Verfahrens von 1616. Danach war es Galilei auch 1616 schon verboten, das Werk des Kopernikus zu lehren und zu verbreiten. Aber 1870 fand man heraus, dass das Papier eine Fälschung war.

Wenn wir zurückblicken, sehen wir: Die Menschen wurden, und das gilt auch heute, mit Widersprüchen vollgestopft, falsch informiert und aufgehetzt; die richtigen Informationen wurden unterschlagen, gefälscht und verboten; die Vertreter des Vernunftprinzips wurden verketzert, verteufelt, denunziert und diffamiert.

Galilei wurde zum Schweigen gezwungen. Die Auswirkungen auf seine Zeitgenossen waren verheerend.

Descartes zum Beispiel, der sieben Jahre nach Galilei starb, arbeitete an einem Werk, in dem er die Methode des naturwissenschaftlichen Denkens lehrte. Als er aber im Juni 1633 von Galileis Verurteilung hörte, legte er die Arbeit beiseite und schrieb:

«Dies hat mich so stark beeindruckt, dass ich beinahe beschlossen habe, alle meine Manuskripte zu verbrennen oder sie wenigstens niemandem zu zeigen. … Aber auf keinen Fall will ich etwas veröffentlichen, in dem ein Wort enthalten ist, das der Kirche missfallen könnte.»

Die Wissenschaftler nach Galilei scheuten die Auseinandersetzung mit den alten Meinungen und deren Vertretern bis ins 19. Jahrhundert. 

John Milton klagte im 17. Jahrhundert:

«Die englischen Universitäten bringen die jungen Leute mit Hilfe eines aus Metaphysik, Wundern und sinnwidrigen Schriften gebrauten Zaubers um den Gebrauch ihres Verstandes. Sie müssen ihre Jahre damit vertun, einen Eselsfrass aus sauren Disteln und Dornen und anderem sophistischen Plunder zu verdauen.»

Galileo Die Erde geht auf vom Mond aus
Die Erde geht auf, vom Mond aus qesehen. Die Erde ist nicht mehr der Bodensatz des Universums, sondern einfach ein Himmelskörper. Die strikte Trennung von Himmel und Erde bricht zusammen, vom Mond aus gesehen ist die Erde im Himmel. Die kopernikanische Wende wirkte befreiend auf die Menschen.

Zusammenfassung

Durch die kopernikanische Anschauung einer sich bewegenden Erde geriet das mittelalterliche Weltbild ins Wanken. Die Erde, die bis dahin verrufenste Ecke im Universum, war nun ein Himmelskörper.

Der Umsturz wurde von der Kirche, der herrschenden gesellschaftlichen Macht, hart bekämpft. Die neuen Erkenntnisse durften nicht gelehrt werden.

Schon in ihrer Entstehung wurden damit die neuzeitlichen Naturwissenschaften ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung beraubt: Die Wissenschaft wurde zum Gelehrtendisput im Elfenbeinturm.

Die wissenschaftliche Erkenntnis ist ihrer Natur nach befreiend. Aber die Kirche widersetzte sich der Aufklärung des Volkes. Nur solche "Aufklärung" war erlaubt, die jegliche Konsequenz für die Menschen und ihr Zusammenleben ausschloss.

Bertold Brecht: Auszug aus "Das Leben des Galilei":

Sagredo: So wäre kein Unterschied zwischen Mond und Erde?

Galilei: Offenbar Nein.

Sagredo: Vor noch nicht zehn Jahren ist ein Mensch in Rom verbrannt worden. Er hiess Giordano Bruno und hatte eben das behauptet!

Galilei: Gewiss. Und wir sehen es: Lass dein Auge am Rohr, Sagredo. Was du siehst, ist, dass es keinen Unterschied zwischen Himmel und Erde gibt. Heute ist der 10. Januar 1610. Die Menschheit trägt in ihr Journal ein: Himmel abgeschafft.

Sagredo: Das ist furchtbar.

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Literatur

Th. S. Kuhn Die Kopernikanische Revolution, Vieweg, 1981

  • Koestler Die Nachtwandler. Die Entstehungsgeschichte unserer Welterkenntnis, Suhrkamp Taschenbuch, 1980
  • Hemleben Galileo Galilei; Rowohlts Monographie Nr. 156, 1969
  • Kesten : Kopernikus und seine Welt, Biographie, 1953
  • und A. Durant Kulturgeschichte der Menschheit, Band 11
  • Wohlwill :Galilei und sein Kampf für die Kopernikanische Lehre, Hamburg - Leipzig 1909 und Der Prozess des Galilei, Leipzig 1870
  • Hasler : Wie der Papst unfehlbar wurde, Ullstein Sachbuch, 1981
  • Brecht : Leben des Galilei, Suhrkamp Taschenbuch, 1953
Quelle: Vortrag, gehalten an der 19. Arbeitstagung der Zürcher Schule für Psychotherapie am 8. November 1981 von einer Arbeitsgruppe von Naturwissenschaftlern.
Hier einige weitere Quellen

Eine der ersten Veröffentlichungen Galileo Galileis war das Buch 'Sidereus Nuncius', Nachricht von den Sternen, erschienen im März 1610 in Venedig. Die Schrift behandelt Beobachtungen, "die kürzlich mit Hilfe eines neuartigen Augenglases gemacht wurden am Antlitz des Mondes, an der Milchstraße und den Nebelsternen, an unzähligen Fixsternen sowie an vier Planeten, Mediceische Gestirne genannt, die noch nie bisher gesehen wurden" (zitiert nach G.G.: Sidereus Nuncius - Nachricht von neuen Sternen, hrsg. von Hans Blumenberg, Frankfurt 1980, S. 83). Galilei widmet die Schrift und die 'vier Planeten', bei denen es sich um die frisch entdeckten Jupitermonde handelt, "Seiner Durchlaucht Cosimo von Medici II. - IV. Großherzog von Toskana". Hier ein Ausschnitt aus dem originalen Widmungsschreiben Galileis. Mit den darin erwähnten 'Heroen' sind die griechisch-römischen Götter gemeint, nach denen die wichtigsten Gestirne benannt wurden: Mars, Merkur und Jupiter.

Galileis Brief

"Es war Gottes, des Allmächtigen Wille, daß ich von Euren durchlauchtigsten Eltern nicht für unwürdig befunden wurde, Eure Hoheit in den Lehren der Mathematik mit Fleiß zu unterweisen. Ich tat dies in den zuletzt verflossenen vier Jahren zu der Jahreszeit, wenn die ernsteren Beschäftigungen zu ruhen pflegen. Da es mir also offenbar durch Gottes Ratschluß zuteil wurde, Eurer Hoheit zu dienen, und ich deshalb die Wirkungen Eurer unglaublichen Gnade und Güte aus nächster Nähe erfuhr, wie ist es da verwunderlich, wenn mein Herz so entflammt ist, daß es beinahe Tag und Nacht auf nichts anderes denkt, als wie ich, der ich, der ich nicht nur mit dem Herzen, sondern auch durch Geburt und natürliche Herkunft unter Eurer Herrschaft stehe, mein großes Bemühen um Euren Ruhm und meine tiefe Dankbarkeit gegen Euch erkennbar machen könne? Aus diesem Grunde, und weil ich diese Sterne, die allen früheren Astronomen unbekannt waren, unter Eurer Obhut, durchlauchtigster Cosimo, entdeckt habe, besteht mein Entschluß vollkommen zu Recht, sie mit dem erhabenen Namen Eurer Familie zu benennen. Wenn ich sie als erster entdeckt habe, wer hat dann ein Recht, mich zu tadeln, wenn ich ihnen auch den Namen gebe und sie Mediceische Gestirne nenne, in der Hoffnung, daß diesen Gestirnen durch diese Benennung ebensoviel Ansehen zuwachsen möge, wie andere Sterne den anderen Heroen gebracht haben? Denn, großer Heros, um von Euren durchlauchtigsten Ahnen zu schweigen, von deren ewigem Ruhm die Denkmäler aller Epochen zeugen: Eure Tugend allein, kann jenen Sternen Unsterblichkeit des Namens geben."

Das Imprimatur und die Anklagepunkte

Palazzo Barberini

Pietro da Cortona, La divina provvidenza. In der Mitte das Wappen von Papst Urbano VIII

Das Imprimatur zur Erstausgabe des Dialogs

Es war zu jener Zeit übliche Praxis, dass für jedes zu veröffentlichende Werk zuerst das "Gut-zum-Druck" (Imprimatur) der kirchlichen Behörden eingeholt werden musste. So begab sich Galilei nach Vollendung seines Dialogs im Mai 1630 nach Rom, um bei Papst Urban VIII. und Niccolò Riccardi, dem Verantwortlichen für die Erteilung des Imprimaturs, vorzusprechen. Dies tat er in der Hoffnung, sein Werk in der Ewigen Stadt veröffentlichen zu können. Zurück in Florenz entschied Galilei jedoch aus verschiedenen Gründen   – einer davon war die gerade wütende Pest   – den Dialog dort drucken zu lassen. Bereits am 10. Oktober desselben Jahres erhielt er vom Inquisitor der Stadt Florenz, Clemente Egidi, das notwendige Imprimatur. Aufgrund verschiedener Schwierigkeiten konnten die Arbeiten in der Druckerei aber erst im Juli 1631 beginnen und wurden im Februar 1632 abgeschlossen.

Anklagepunkte gegen den Dialog

Mitte August 1632 wurde Giovan Battista Landini aus Florenz, der Drucker und Herausgeber des Dialogs, angewiesen, keine weiteren Exemplare davon herauszugeben oder zu verkaufen. Im September liess Papst Urban VIII. eigens eine Kommission von Theologen einberufen,diewelche die Aufgabe hatte zu überprüfen, ob die Veröffentlichung des Werks und dessen Inhalt nicht eine Überschreitung der bestehenden Bestimmungen darstelle. Der Bericht dieser Kommission brachte tatsächlich Unregelmässigkeiten ans Licht und enthielt auch gleich die sieben Anklagepunkte (corpus delicti) gegen Galilei.

Maffeo Barberini (1568  –1644), ab 6. August 1623 Papst Urban VIII., war lange bevor er zum Papst gewählt wurde, bereits ein Mäzen für Wissenschaftler und Künstler. Insbesondere war Barberini ein grosser Bewunderer Galileis und dessen astronomischen Entdeckungen. Er schrieb sogar ein Loblied auf Galilei, die Adulatio perniciosa. Ihm hat Galilei sein Werk "Il Saggiatore" (Link verlässt diese Seite) gewidmet, das eine harte Auseinandersetzung mit dem Jesuitenpater Orazio Grassi ist. Trotz aller Freundschaft und Unterstützung, die Maffeo Barberini Galilei angedeihen liess, verhehlte er diesem seine Ablehnung der kopernikanischen Lehre nicht und betrachtete schliesslich die Veröffentlichung des Dialogs im Jahr 1632 als unakzeptabel. So war es Barberini selber, der 1633 den Prozess gegen Galilei anstrengte.

Der zweite Anklagepunkt

Der zweite Anklagepunkt betrifft zwei Verstösse Galileis gegen die von den kirchlichen Behörden auferlegten Bedingungen.

Erster Verstoss: Die Einführung Al discreto lettore wurde mit anderer (nämlich runder) Schrift gedruckt als der Rest des Textes, der kursiv gehalten ist. Das Gericht machte Galilei den Vorwurf, dass mit der unterschiedlichen graphischen Gestaltung der Leserschaft signalisiert wurde, dieser Anfangsteil des Werkes stehe nicht in Zusammenhang mit dem Rest des Textes und sei deshalb auch unterschiedlich zu verstehen.

Der zweite Verstoss war gravierender: Galilei war von Papst Urban VIII. persönlich in einer Privataudienz aufgetragen worden, sein Werk mit einem Schlusswort, der sogenannten "Schlussmedizin" (medicina del fine) zu versehen, in der er eindeutig die Allmacht Gottes zu betonen hatte. Galilei respektierte zwar diese päpstliche Auflage, indem er in den letzten Gesprächsmomenten des Dialogs das gewünschte Thema einflocht. Aber Galilei legte diese aufgenötigte Betrachtung in den Mund von Simplicio, der   – so die Anklage   – im ganzen Werk die Rolle des Dummkopfes innehat.

 Der Prozess

Galileo schwört vor den Richtern des Heiligen Offiziums die Lehre von der Bewegung der Erde ab

Chronologie

Datum

Geschehen

21.02.1632

Der Druck des Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische ist abgeschlossen.

25.07.1632

Pater Riccardi schreibt dem Inquisitor von Florenz, er solle die Verbreitung des Dialogs verhindern.

23.09.1632

Der Papst befiehlt Galilei, er solle sich im Oktober in Rom einfinden.

17.12.1632

Galilei erhält eine Bescheinigung, unterschrieben von drei Ärzten, dass er sich "wegen offensichtlich drohender Lebensgefahr" nicht auf die Reise begeben könne.

30.12.1632

Der Papst droht Galilei, falls er sich nicht unverzüglich nach Rom begebe, werde er ihn von einem Kommissar, begleitet von Ärzten, abholen und wenn nötig in Ketten ins Gefängnis der Heiligen Uffizien bringen lassen.

20.01.1633

Galilei macht sich endlich auf die Reise und kommt am Abend des 13. Februars   – nach einer Quarantäne wegen der wütenden Pest   – in Rom an. Es wird ihm erlaubt, sich in der Botschaft der Toskana anstatt in den Kerkern der Heiligen Uffizien aufzuhalten.

12.04.1633

Er stellt sich den Heiligen Uffizien und wird zum ersten Mal verhört.

30.04.1633

Er gesteht die sogenannten "Fehler" und erklärt sich bereit, dem Dialog zwei weitere Tage anzufügen (dazu wird es allerdings nie kommen), in denen er die kopernikanische Lehre widerlegt.

21.06.1633

Erneut stellt er sich den Behörden der Heiligen Uffizien und wird verhört. Diesmal wird er festgehalten.

22.06.1633

Er wird in den grossen Saal der Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva geführt, wo ihm das formelle Urteil (Kerkerhaft und Verbot des Dialogs) vorgetragen wird. Daraufhin schwört Galilei ab.

30.06.1633

Der Papst erlaubt Galilei sich in das Erzbistum Siena zu begeben.

01.12.1633

Der Papst gewährt Galilei lebenslänglichen Hausarrest in Galileis eigenem Landhaus in Arcetri bei Florenz.

Text der Abschwörung, die Galilei am 22. Juni 1633 im grossen Saal des Dominikanerklosters von Santa Maria sopra Minerva aussprach.

"Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz, siebenzig Jahre alt, persönlich vor Gericht gestellt und knieend vor Eueren Eminenzen, den Hochwürdigsten Herren Kardinälen General-Inquisitoren gegen die ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen Welt, vor meinen Augen habend die hochheiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre, schwöre, dass ich immer geglaubt habe, jetzt glaube und mit Gottes Hülfe in Zukunft glauben werde alles, was die heilige katholische und apostolische Römische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt.

Da ich aber,   – nachdem mir von diesem heiligen Officium der gerichtliche Befehl verkündet worden, ich müsse die falsche Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege, ganz aufgegeben und dürfe diese falsche Lehre nicht für wahr halten, verteidigen, noch in irgend welcher Weise lehren, weder mündlich noch schriftlich, und nachdem mir eröffnet worden, dass diese Lehre der heiligen Schrift widerspreche,   – ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen,   – und da ich mich dadurch diesem heiligen Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe, nämlich (verdächtig) für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege:   – darum, da ich wünsche, Euren Eminenzen und jedem Christgläubigen diesen gegen mich mit Recht gefassten Verdacht zu benehmen, schwöre ich ab, verfluche und verwünsche ich mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben besagte Irrtümer und Ketzereien und überhaupt allen und jeden anderen der besagten heiligen Kirche widersprechenden Irrtum und Sektiererglauben.

Und ich schwöre, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte, und dass ich, wenn ich irgend einen Ketzer oder der Ketzerei Verdächtigen kennenlerne, denselben diesem heiligen Officium oder dem Inquisitor und Ordinarius des Ortes, wo ich mich befinde, denuncieren will.

Ich schwöre auch und verspreche, alle Bussen pünktlich zu erfüllen und zu beobachten, welche mir von diesem heiligen Officium sind aufgelegt worden oder werden aufgelegt werden. Und sollte ich, was Gott verhüten wolle, irgend einer meiner besagten Versprechungen, Beteuerungen oder Schwüre zuwiderhandeln, so unterwerfe ich mich allen Strafen und Züchtigungen, welche durch die heiligen Canones und andere allgemeine und besondere Konstitutionen gegen solche, die sich in solcher Weise vergehen, festgesetzt und promulgiert worden sind. So wahr mir Gott helfe und diese seine heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre. Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen und versprochen und mich verpflichtet wie vorstehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben. Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633. Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand."

(Übersetzung von Emil Strauss, 1897)

Der päpstliche Nuntius der Schweiz an Kardinal Antonio Barberini (senior) Luzern, 12. November

"Ich werde all meine Aufmerksamkeit auf diese Herren Monsignori, Bischöfe und Prälaten verwenden, die von meiner Nuntiatur abhängig sind, damit die Verurteilung und die Abiura Galileo Galileis von ihnen veröffentlicht und auch zur Kenntnis genommen wird. Dies werde ich mit ebensoviel Eifer, Frömmigkeit und Gerechtigkeit ausführen, wie sie auch die heilige Kongregation angewandt hat. Deren Zurechtweisung und Busse macht das Ausmass des Verbrechens klar und wird zweifelsohne anderen als Beispiel dienen, damit sie nicht ähnlich schwere Fehler begehen. Zum Abschluss erweise ich Ihrer Eminenz meine unterwürfigste Referenz. Ihrer Eminenz unterwürfigster, ergebenster und sehr verpflichteter Diener Ranuccio, Bischof von S. Donnino. Der hochwohlgeborene Kardinal S. Onofrio. Roma. Luzern."